Eingangs seien die drei Begriffe, die für meine prognostischen Erwägungen von Bedeutung sind, inhaltlich vorgestellt:
— MODERNES KUNSTSYSTEM — Das ist die sich zusammen mit der neuzeitlichen europäischen Kultur formierende und im 19./20. Jahrhundert zur Ausbildung gelangende Gesamtheit von Begriffen, Vorstellungen, Bräuchen und Institutionen, von denen das künstlerische Leben gesteuert wird. Verbunden mit dem Kult des Fortschritts, des Neuerertums und der Avantgarde hat das moderne KUNSTSYSTEM die Kunst aus der traditionellen Einheit des geistigen Lebens herausgelöst und zu einer Einzeldisziplin gemacht die hauptsächlich mit sich selbst befaßt ist.
— SACRUM — Das ist der „heilige Raum” (nach Eliade), der in den alten religiösen Kulturen den Menschen die andere, geistige Seite dessen, was real und vergänglich ist, enthüllte. Er war der psychische Raum der Mythen und ihrer Abbildung, das heißt, der Kunst.
— SACRUM DER KUNST — (gleichsam ein Abzweig und zum Teil der Gegensatz des ursprünglichen SACRUM) — Das ist der Glaube an die besonderen Eigenschaften des schöpferischen Individuums, der es diesem erlaubt, den tieferen Sinn der Dinge, der anderen verdeckt ist, zu erkennen, aber auch traditionelle Vorstellungen zu sprengen und neue Horizonte des Sehens zu eröffnen.
Zusammen mit dem Erlōschen der europäischęn Neuzeit, die sich schon in den 70er Jahren in die Vergangenheit zu entfernen scheint, unterliegt das vom der laizistischen und homozentristischen Weltanschauung sowie der Idee vom SACRUM DER KUNST verbundene moderne KUNSTSYSTEM einer stufenweisen Degradation. Mit dem „Abschied der Neuzeit” wird sich in der Kultur die Erscheinung der „Rückkehr des SACRUM” verstärken. Das ist von fundamentaler Bedeutung für den sich an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert verstärkenden Prozeß der Entstehung einer globalen Kultur. Entweder wierd die globale Gemeinschaft vom Glauben gebildet werden, der die Würde jedes einzelnen Menschen heiligt, indem er die Vielfalt und die Verschiedenartigkeit der sich einander ōffnenden Kulturen umfaßt. Oder die materialistische und pragmatische Zivilisation der Eile und des Erfolgs wird den Prozeß der Universalisierung beherrschen. Mōglich ist auch, daß ein Teil der schōpferischen Gemeinschaft — von einer Beteiligung an diesem Kampf der Gegensätze Abstand nehmend — Asyl in esotherischen Praktiken findet, in der Überzeugung, daß die Kunst vōllig autonom und unabhāngig von allem ist, was nicht Kunst ist.
Den genannten drei Mōglichkeiten entsprechen drei schon jetzt sichtbare Magnetismen der Geschichte und drei mit diesen Magnetismen verbundene Haltungen:
— Dem PRAGMATISCHEN DEMIURGISMUS, der die universelle Zivilisation der Eile und des Erfolgs anstrebt, entspricht die Haltung POP,
— dem HUMANISTISCHEN EGOZENTRISMUS — die Haltung ESO,
— dem STREBEN ZUR RESAKRALISIERUNG DER KULTUR — die Haltung SACRUM, das heißt, das Streben zur Erneuerung der inneren Beziehungen zwischen dem SACRUM DER KUNST und dem ursprünglichen SACRUM. Das Ergebnis dieser Beziehung wird nicht die ursprüngliche Einheit von SACRUM und SACRUM DER KUNST sein (die in den vorneuzeitlichen geschlossenen Sakralkulturen natürlich war), sondern eine Beziehung, die man als Konjunktion des inneren Einklangs bezeichnen kann.