Die Geschichte des Problems des Mindestwissens über die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe wurde bis zutage in der kanonischen Rechtswissenschaft sehr oberflächlich betrachtet. Und mit Unrecht, denn gerade in der Geschichte sollte man die Erklärung suchen, warum dieses Problem in unseren Tagen aktuell wird. Seit der Reformation bestehen im Christentum des Westens zwei — vom theologischen Standpunkt gesehen — grundsätzlich verschiedene Auffassungen der Ehe: die katholische und die protestantische. Der Verfasser, der die Möglichkeit einer breiteren Auslegung des c. 1082 des CIC näher angehen will, möchte in dieser Darstellung auf einige rechtsgeschichtliche Voraussetzungen, die eine neue Auslegung des genannten Kanons ermöglichen, hinweisen.
Demgemäss stellt der Verfasser zuerst die protestantische Auffassung der Ehe dar. Dabei beschränkt er sich auf die M. Luthers Lehre von der Ehe. Nach Luthers Meinung ist die Ehe weder ein Sakrament noch der allein kirchlichen Jurisdiktion ausgesetzt. Weiter behauptet er, es sollen sogar auch die Aussagen der Hl. Schrift nicht die kirchliche Lehre von der unbedingten Unauflöslichkeit der Ehe beweisen. Deshalb liess M. Luther die Möglichkeit der Scheidung gültiger Ehen zu. Luther's Grundsätze wurden von den lutheranischen Theologen sowie von anderen reformierten Kirchen angenommen. Die Praxis richtete sich auch nach diesen Grundsätzen.
Im zweiten Teil des Aufsatzes legt der Verfasser die Stellungnahme der katholischen Kirche zu Luther's Thesen über die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe dar. Neben den Versuchen um die entstandene Krise mit Rechtsmassnahmen und sogar militärischen Mitteln zu überwinden, wurden auch solche Massnamen unternommen, die die Gefahr seitens der Reformation mindern sollten: die Reform der römischen Kurie sowie die Verteidigung der Lehre und des Glaubens der katholischen Kirche. Nach der einklingenden Meinung der Kanonisten in der ersten Hälfte des XVI Jahrhunderts ist die einmal geschlossene und vollzogene Ehe durchaus unauflöslich (Silvester von Ferrara, Didacus Covarrubias, Alphons de Veracruz, Johannes Paul Lancelotti u. a.). Ebenfalls klar hat das Konzil von Trient die Wahrheiten des Glaubens betreffs die christliche Ehe dargelegt (der sakramentale Charakter, die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe) und die Konzilsväter haben es als unverkaufliches Gut der Kirche anerkannt. Der Verfasser geht kritisch in tiefschürfenden Analysen und Urteilen die Haupturkunde des Konzils in dieser Sache an, nämlich das Documentum de sacramento matrimonii.
Im Fazit stellt der Verfasser fest, M. Luther's Lehre über die christliche Ehe sei ein echtes Novum gegenüber der beständigen Lehre der Kirche. Wie schwerwiegend sie für die folgende Zeit sein sollte, beweist allein schon die Tatsache, dass sie schnell in die Praxis eingeführt wurde. Deshalb ist auch der gewaltige Widerstand der katholischen Kirche klar. Eine Rücksichtsnahme dieser Gegebenheiten kann bei der modernen Auslegung des c. 1082 des CIC wirklich sehr behilflich sein.