Die Enzyklika des Heiligen Vaters Johannes Paulus II. Dives in misericordia wurde auf reicher biblischer Unterlage aufgebaut. Am Anfang des II. Kapitels stellt der Papst fest: „Der Begriff der Barmherzigkeit hat seine lange und reiche Geschichte im Alten Testament. Wir müssen also in diese Geschichte greifen, damit desto voller diese Barm- herzigkeit offenkundig werde, die Christus offenbarte“ (DiM, 4). Daher nehmen wir als Grundlage für die Reflexion in diesem Artikel die strukturelle Semantik, die das Ver- hältnis zwischen dem Grundwert des Wortes und seiner Bedeutung in den Aussagen zu erforschen sucht.
Der Analyse wurden folgende Ausdrücke unterzogen:
„hänan” – welches „jemanden begünstigen, ihm etwas geben” bedeutet, Gegenwär- tig die „Gnade” bezeichnen kann;
„hesed” – oft durch „Treue” übersetzt, im Grunde aber die Freundschaft, die Liebe und Barmherzigkeit, die Verantwortung für die Liebe bezeichnet;
„rahamim” – drückt den Mitleid, die mütterliche Zärtlichkeit, das Verständnis, die instinktive Anhänglichkeit eines Wesens zum anderen, aus;
„hus” – Erbarmen, Mitleid im gefühlvollem Sinn;
„hamal” – Verschonung (z. B. des besiegten Feindes), Verzeihung, Vergebung der Sünde.
Die Geschichte der Barmherzigkeit im Alter Testament wurde in drei Punkten zusammengefasst: die Barmherzigkeit in den historischen (1), in den didaktischen (2) und in den prophetischen Büchern (3).
In den geschichtlichen Büchern, von den Sündenfällen des ersten Elternpaares ange- fangen, durch die Geschichte des Moses und des auserwählten Volkes, sehen wir das ständige Übertreten des Bündnisses durch dieses Volk; wir sehen die Beweise der Barmherzigkeit Gottes, die als ob den Menschen vor der Gerechtigkeit Jahwes schütze.
In den didaktischen Büchern kommt das Thema der Barmherzigkeit am meisten in den Psalmen zum Vorschein, in denen fortwährend wie ein Kehrreim im Lied, sich das Lob Gottes, der „barmherzig und gnädig, Langmütig und reich an Güte ist” (Ps 102, 8; 103, 8), wiederholt.
Die Propheten haben geglaubt, dass die Barmherzigkeit Gottes eine Eigenschaft, ein Attribut von Gott ist und dass kein Mensch fähig sei einem anderen Menschen eine so grosse Barmherzigkeit zu erweisen. Die Barmherzigkeit Gottes haben besonders die Propheten Micha, Amos, Jesaja und Jeremia besungen.
Papst Johannes Paulus II. greift bewusst zuerst in die Geschichte des Begriffes „Barmherzigkeit” im Alten Testament ein, um dadurch dann in vollster Weise die Barmherzigkeit, die Christus offenbart hat, zu zeigen. Dieser Begriff ist aus der Erfah- rung herausgekommen: Christus hat sich an Menschen gewandt, die nicht nur den Be- griff der Barmherzigkeit gekannt haben, sondern die ausserdem aus ihrer Jahrhunderte langen Geschichte als Volk Gottes des Alten Bundes eine besondere Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes davongetragen haben.
Als Bezeichnung der Idee der „Barmherzigkeit“ gibt es in den Evangelien drei sinn- verwandte, manchmal synonyme Termini:
„eleein“ – bedeutet: mitfühlen, Mitleid haben, sich jemandes erbarmen;
„eleos“ – bedeutet: Barmherzigkeit tun, gut sein; die Tat von Gott, der sich der menschlichen Misere erbarmt;
„oiktirmós“ – das Gefühl der Zärtlichkeit, Mitleid;
„oikteirein“ – Barmherzigkeit erweisen, Mitleid haben (aber vom Gott), das sich Erweisen der göttlichen Barmherzigkeit;
„oiktos“ – Wehklage, Mitweinen, Mitleid;
„splánchna“ – bezeichnet das herzliche Mitleid, die herzliche Barmherzigkeit, ge- wissermassen das Eingeweide der Barmherzigkeit;
„splanchnidzestai” – am meisten nur in der Mehrzahl gebraucht, bedeutet: gerührt werden, sich erbarmen, sich in die Situation eines anderen Menschen einfühlen.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird oft als Gleichnis vom barmherzigen Vater benannt. Der Papst hat dieses Gleichnis ausgewählt, um an seinem Beispiel die Vertie- fung und Vereinfachung des aus dem Alten Testament geerbten Bildes der Barmherzig- keit zu zeigen. Diese Vertiefung und Vereinfachung ist ihm mit Hilfe der Interpretation des Gleichnisses vom verlorenen Sohn in personalistischer und existenzieller Weise gelungen.
Im nächsten Punkt wird die Barmherzigkeit Gottes in den Logien Jesu gezeigt: „Seid barmherzig wie es auch euer Vater ist“ (Lk 6, 36), „Barmherzigkeit will ich, nicht Op- fer“ (Mt 9, 13). „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5, 7). „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle“ (Lk 1, 50) und „Wer mich ge- sehen hat, hat den Vater gesehen“ (J 14, 9). Die über diese Logien vollgezogene Betra- chtung können wir mit den Worten des Heiligen Vaters zusammenfassen: „An den ge- kreuzigten Sohn glauben, heisst «den Vater sehen»; es bedeutet: glauben, dass die Liebe in der Welt anwesend ist und dass sie stärker ist als irgendwelches Böses: an diese Liebe aber zu glauben bedeutet: an die Barmherzigkeit zu glauben“ (DiM, 7).
Die neutestamentliche Reflexion über die Unermesslichkeit der Barmherzigkeit Gottes erreicht ihren Höhepunkt im Text des Epheserbriefes (Eph 2. 4). Der heilige Paulus sieht den Gipfel der uns erwiesenen Güte Gottes in der Tatsache unserer Verei- nigung mit Christus. Andere Bruchstücke aus dem Corpus Paulinum (Röm 9, 22–24 und Tit 3, 4–7) beweisen, dass das frühe Christentum die Lehre des alten Testamentes über die grosse Barmherzigkeit Gottes entfaltete und sie im Lichte der Fülle der Offenbarung mit neuen Inhalten bereicherte.
Wie man aus dieser kurzen Zusammenfassung sehen kann, ist die Enzyklika Dives in misericordia sehr biblisch, sie ist ein fortgesetzter Kommentar zu den aus der Bibel genommenen Themen. Der Papst lässt wirklich die Botschaft dieser Texte sprechen, obwohl im Lichte der persönlichen Erfahrungen und der Kirche wird von ihm das Wort Gottes nicht instrumentalisch behandelt. Er ergibt sich ihm.
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Vol. 1990 (1991)
Published: 2024-02-05

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